Die Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universität Graz und der Universität Sousse in Tunesien unterhalten seit 2015 eine Kooperation, in deren Rahmen bereits zwei Grazer Delegationen an Konferenzen in Sousse teilnahmen und insgesamt fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Sousse Erasmus+-Aufenthalte in Graz absolvierten. Bisherige Schwerpunktthemen der vom ehemaligen österreichischen Botschafter in Tunesien, Dr. Gerhard Weinberger, initiierten Kooperation waren die Gemeindeselbstverwaltung, der Menschenrechtsschutz und die Religionsfreiheit.
Am 7. und 8. April 2017 fand nunmehr eine französischsprachige Konferenz in Sousse zum Thema "Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen" mit starker Grazer Beteiligung statt. Tunesien, das einzige Land, in dem der arabische Frühling zu einer echten, wenn auch fragilen Demokratie geführt hat, steht kurz vor der Einführung eines neuen Systems der Verfassungsgerichtsbarkeit. Auch wenn der diesbezügliche politische Prozess länger als erwartet gedauert hat, ist nunmehr ein baldiger Abschluss der Bestellung der Mitglieder des neuen Verfassungsgerichts zu erwarten. Aus diesem Anlass haben Vertreter der Fakultäten aus Graz und Sousse, verstärkt durch Vortragende aus Deutschland und Marokko (wo unlängst ebenfalls ein neues Verfassungsgericht eingerichtet wurde), das tunesische und das österreichische Modell näher vorgestellt und analysiert. Das österreichische "Kelsen-Modell" ist bis heute ein weltweit beachtetes Vorbild einer echten Verfassungsgerichtsbarkeit mit der Kompetenz zur Aufhebung von Gesetzen über den Einzelfall hinaus geblieben.
Die Grazer Delegation bestand aus vier Vertreterinnen und Vertretern des Instituts für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft: Mag. Teresa Habjan, Mag. Miriam Karl, Ass.-Prof. Dr. Christoph Hofstätter und Univ.-Prof. Dr. Karl Stöger, MJur. Die Vorträge wurden durch intensive Diskussionen zwischen Lehrenden, Studierenden sowie Vertreterinnen bzw. Vertretern der tunesischen Gerichtsbarkeit und Anwaltschaft begleitet. Unterstützt wurde die Tagung aus Mitteln der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung. Im Rahmen der Kooperation Graz-Sousse sind weitere Aktivitäten, insbesondere auch die Möglichkeit eines Studierendenaustausches, angedacht.